
Meine Geschichte
Triggerwarnung
In den nächsten Minuten geht es auch um Krankheit, Tod und Suizid. Betroffene kann dies retraumatisieren. Wenn dir das zu viel ist, klick jetzt weg oder schau es dir mit einer Vertrauensperson an. 🤍
Die Sommerferien hatten gerade angefangen, als bei meinem Vater Darmkrebs diagnostiziert wurde. Zwischen den vielen Arztterminen und Operationen, bei denen ich wie in Trance auf dem Schulhof stand und betäubt auf Anrufe aus dem Krankenhaus wartete, lagen ein paar Monate.
Am 5. November verloren wir ihn.

Ich lebte zu dem Zeitpunkt mit meinen Schwestern bei der neuen Frau meines Vaters. Ein paar Wochen nach seinem Tod, fünf Tage vor Weihnachten, waren wir abends gerade am Kochen, als es im Wohnzimmer anfing zu brennen.
In kürzester Zeit stand alles in Flammen. Der Vorhang brannte, höchstwahrscheinlich angesteckt vom Adventskranz. Sekundenschnell loderte es bis zur Decke. Bis heute weiß ich nicht genau, wie es dazu kommen konnte, nur dass dünne Gipskartonwände, Rattanmöbel und eine gesprungene Terrassentürscheibe perfektes Zündmaterial boten.

– 14 Grad zeigte unser Außenthermometer an.
Was ich noch genau vor Augen habe ist, wie wir kläglich versuchten, mit einer Decke und meinem langen Rock das Feuer zu löschen, zu viel Rauch einatmeten und dann die Wohnzimmertür zuschlagen mussten, um die Feuerwehr zu rufen.

Drei Minuten später stand ich barfuß im T-Shirt mit meinen Schwestern und meiner Stiefmutter auf der Straße. Ich war vorher noch in der Badewanne gewesen und hatte deshalb kaum etwas an. Vor unseren Augen verloren wir alles.
Alles, was unser Vater aufgebaut hatte und was uns an ihn erinnerte – seine Tagebücher, Fotos, der Blüthner-Flügel, auf dem er spielte und komponierte, seine Werke und natürlich auch all unsere Sachen.


Die Presse war dann zuerst da, gefolgt von der Polizei. Es war mitten im Winter, auf den spiegelglatten Straßen brauchte die Feuerwehr eine quälende Ewigkeit. Was bis dato nicht von den Flammen zerstört wurde, vernichtete das Löschwasser. In der Kälte verwandelte sich alles in unbrauchbare Eisklumpen.

Rechts ist meine Schwester, links bin ich.
Meine Geschwister und ich wurden ins nächste Krankenhaus gefahren. Wir kamen mit Rauchvergiftungen davon. Unsere Meerschweinchen hatten nicht so viel Glück und erstickten in den Flammen.

Die nächsten Wochen gerieten wir in einen regelrechten Medienrummel. Berliner Zeitung, Morgenpost, BILD usw. – alle großen Zeitungen der Hauptstadt berichteten von der Story. Es wurden Beiträge im Fernsehen und im Radio gesendet. RTL startete eine riesige Spendenaktion und viele Menschen boten ihre Hilfe an. Wir kamen zu sechst in einer winzigen Ferienwohnung unter und versuchten, das kommende Jahr aufs Leben klarzukommen Doch meine Stiefmutter lernte in kürzester Zeit einen neuen Mann kennen, der unsere Familie umkrempeln wollte und keine Rücksicht auf die traumatisierten Kinder nahm. Meiner Mutter ging es auch sehr schlecht.
Ich schrieb meinen mittleren Schulabschluss und konzentrierte mich danach darauf, das Abi zu machen. Was schwer werden sollte, denn am ersten Tag meines Abi-Jahres kam die nächste Schreckensnachricht.

Meine Mutter hatte sich das Leben genommen.








Symptome
An die ersten schlimmen Krämpfe kann ich mich erinnern, da bin ich 6. Woran ich mich jedoch kaum erinnere ist mein letztes Schuljahr und das bestandene Abitur. Was ich noch weiß ist, dass ich ständig nach dem Essen Magenschmerzen hatte.
Mit Beginn des Studiums wurden die Symptome schlimmer. Im 2. Semester hatte ich permanent Schmerzen und entdeckte in der Klausurenphase Blut im Stuhl. Mit riesiger Angst ging ich zum Gastro: „Wie wahrscheinlich ist es, dass es Darmkrebs ist?“, fragte ich die Arzthelferin in der Praxis. Ich hatte Panik, wie mein Vater zu enden, denn die Symptome waren ähnlich. „Ich darf eigentlich keine Aussagen treffen, aber unter 1 % in Ihrem Alter“, war die Antwort.
2 Wochen später kam eine niederschmetternde Diagnose.
Ich weiß noch genau, wie betäubt ich in der U-Bahn nach Hause saß. Ich fühlte alles und nichts gleichzeitig. Ich hatte doch gerade erst ein Stück Normalität zurückerobert, war jetzt Studentin und bereit für eine bessere Zukunft. Ich wusste da noch nicht viel über Autoimmunerkrankungen, nur, dass sie sehr schwer verlaufen können und die Medizin bisher kein Heilmittel kennt.
Ist das jetzt mein Leben? War die einzige Frage, die in meinem Kopf spukte.

Bauch
Den Rest des Lebens auf Medikamenten? Von Krankenhaus zu Krankenhaus ziehen? Operiert werden und Organe verlieren? Ich konnte es nicht als Tatsachen aktzeptieren. Ich sah mich nicht als chronisch kranker Mensch. Anstatt auf den ärztlichen Rat – „Sie können essen, was Sie wollen“ und „Sie müssen die Medikamente nehmen, ohne geht es nicht“ – zu hören, folgte ich meinem Plan. Aus heutiger Sicht hat mich das gerettet.

Ich fing an zu recherchieren, verbrachte viel Zeit in der Bibliothek, kaufte jedes Buch über Ernährung und Heilung, setzte mich mit Symptomen auseinander. Dann startete ich mein persönliches Selbsthilfe-Programm. Im Nachhinein klingt es einfach, aber ich brauchte 8 Jahre, bis ich die richtige Ernährung, Lebensweise und gute Nahrungsergänzungsmittel gefunden hatte. Mein Leben war geprägt von Krankenhausaufenthalten, starken Medikationen, Nebenwirkungen, gefährlichen Schüben (die bis zu 2 Jahre andauerten), unfassbaren Schmerzen, Untergewicht, Einsamkeit und Selbstmordgedanken. Zwei Schritte vor, einer zurück. Immer und immer wieder.

Meine Ernährung
Vegan, paleo, pegan, zuckerfrei, glutenfrei, SCD, Low-Foodmap, keto, Rohkost, Clean-Eating, histaminarm, ballaststoffarm, ballaststoffreich, vegetarisch, pescetarisch, ayurvedisch, Low-Carb, high protein, Trennkost, Seed Cycling, Intervallfasten, basisch, lactosefrei, Ernährung nach Anthony Williams, und so weiter…
Ich hab sie alles probiert, die Ernährungsformen und Diäten. Streng über Monate durgezogen. Nahrungsmittelunverträglichkeiten wurden analysiert, Mikrobiomanalysen angefertigt, verbotene Lebensmittel gestrichen, Superfoods hinzugefügt. Verzichtet, verzweifelt, versagt.
Obwohl ich komplett vegetarisch aufgewachsen war, kam auch Hühnersuppe auf den Teller, als ich sonst nichts mehr vertragen habe.
Swipe für eine kleine Reise in die Vergangenheit
Antientzündlich, intuitiv, entspannt: So esse ich heute. Meine Freunde sagen, ich hätte einen 7ten Sinn, der mir zeigt, was mein Körper braucht, wüsste intuitiv was funktioniert. Doch das kam nicht von heut auf morgen…
Kopf
Durch meine entzündungshemmende Ernährung kam ich 2016 um eine Operation herum. Mir ging es lange Zeit so gut, dass ich die Immunsuppressiva absetzen konnte (das sind Medikamente, die das Immunsystem schwächen, damit es den eigenen Körper nicht angreift und Organe verletzt/zerstört). In dieser Zeit konzentrierte ich mich auf Sport, absolvierte mein Studium und entdeckte Autogenes Training für mich. Nichtsdestotrotz kamen im Dezember 2019 die Symptome zurück. Ich hatte zu der Zeit gerade den Bachelor in der Tasche, viel Stress im Job und steckte in der toxischen Beziehung mit meiner Jugendliebe fest.
Anfang 2020, mit Beginn der Pandemie, wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Der erste Lockdown läutete dann auch meine persönlichen Monate des Grausens ein. Ich wurde wieder in die Notaufnahme geliefert, lag wieder im Krankenhaus, verlor wieder rasant an Gewicht und wusste wieder nicht, wie es weiter gehen soll.
Im März 2021 stand das Experten-Team der Charité ratlos an meinem Krankenbett. Ich konnte zwischen Chemotherapie, Operation oder einem letzten medikamentösen Kombi-Versuch wählen, der das Krebs-Risiko extrem erhöht. „Das sind alles keine Optionen“, weinte ich verzweifelt. Trotzdem musste ich wohl oder übel die Medikamente wählen, weil ich mir von Anfang an geschworen hatte, nur im allerletzten Zug das Skalpell heranzulassen.
Da ich von den Medikamenten krasse Nebenwirkungen bekam – mir büschelweise Haare ausfielen und ich monatelang Astmaanfälle hatte- , setzte ich alles wieder ab. Der Sommer hatte gerade angefangen, wodurch ich irgendwie zurecht kam. Dennoch verlor ich nach wie vor täglich Blut und spürte, dass ich mit Ernährung nicht mehr weiterkomme. Die Ursachen für die Symptome lagen tiefer. Ich musste endlich an die letzten Schlüssel kommen, die ich auch mit dem gesündesten Essen der Welt nicht ersetzen konnte.
Doch ich kam dort nicht alleine ran. Ich brauchte Hilfe.
Im September 2021 verlor ich in der Küche das Bewusstsein und starb fast an einem massiven Blutverlust. Notaufnahme und mehrere Bluttransfusionen retteten mir das Leben.
Hände
Schockmomente können Wendepunkte sein, weil wir aufgerüttelt werden und sofort handeln müssen. Die ersten Jahre nach der Diagnose machte ich den Großteil mit mir alleine aus. Ich ließ mir selten etwas anmerken – nur das blasse Gesicht, der verlorene Glanz in den Augen, der Gewichtsverlust und später ein leerer Stuhl im Hörsaal ließen erahnen, dass etwas nicht stimmte.
Als da plötzlich mein Leben am seidenen Faden hing, bröckelte die gemeißelte Fassade. Meine Geschwister bekamen zum ersten Mal hautnah mit, womit ich seit Jahren kämpfte. Viele boten ihre Unterstützung an. So schaffte ich es, aus dem Krankenhaus rauszukommen und im Januar eine Ayurveda Kur anzutreten. Ich trennte mich nach 11 Jahren Beziehung von meinem Freund und fuhr mit den ersten Atemzügen des neuen Jahres drei Wochen nach Südtirol.
Herz
Die ersten 14 Tage in den Bergen veränderten nichts. Ich spürte keine Besserung der Symptome. Nach 24-monatiger Tortur, dauerhafter Blutarmut und unerträglichen Schmerzen war auch mein (bis dahin unerschütterlicher) Glaube daran, dass irgendwann alles gut wird, erschöpft.
Dann kam das, was ich bis heute als kleines Wunder bezeichne.
Ich saß nach einer Shirodara-Behandlung auf dem Bett und schaute nach draußen in die schneebedeckten Baumwipfel. Da brach wie aus dem Nichts etwas in mir auf – wie ein tosender Fluss, der durch einen Staudamm jahrelang am Weiterfließen gehindert wurde. Von einer zur nächsten Sekunde löste sich im tiefsten Unterbewusstsein ein unbeschreiblich starker Druck. Den hatte ich vorher gar nicht wahrgenommen, weil ich mich so daran gewöhnt hatte.
DU bist verdammt nochmal der wichtigste Mensch in deinem Leben, der Hauptcharakter dieser Geschichte. Du musst dich weder wegen Aussehen, Beziehung, Job, Alter oder anderen Personen stressen. Du bist genau richtig, so wie du bist und wo du gerade stehst.
Du bist genug.
Das waren nicht nur Selbstaffirmationen, die ich aufsagte. Es war, als würde ich den Inhalt der Worte in meinem Inneren verankern – unerschütterlich. Als würden diese Informationen in jeder einzelnen Körperzelle ankommen.
In diesem Augenblick hatte ich zum ersten Mal, seitdem ich damals vor unserem brennenden Haus stand, wieder Boden unter den Füßen. Ich hatte ein Gefühl von Zuhause in mir.
Du bist dein Zuhause – sagte das Gefühl.
Heilung
Von einem auf den nächsten Tag gingen die Entzündungen zurück – bis heute. Ich bin vollständig gesund geworden. Ich sitze hier im Juli 2024, tippe diese Worte ein und es klingt wie ein Märchen. Es klingt zu schön, um wahr zu sein.
Ich kann wieder schlafen, ich habe mein Wohlfühlgewicht zurück, meine Periode ist nach jahrelangem Ausbleiben wieder da und super regelmäßig. Ich kann Sport machen und Essen genießen. Ich habe den goldenen Schlüssel gefunden: weiß genau was mein Körper in welcher Lebenslage braucht und wie ich es ihm geben kann. Ohne Medikamente! Seit drei Jahren ohne Medikamente.
Trotzdem ist das kein perfektes Happyend, wie im Film. Manche Wunden heilt auch die Zeit nicht. Es gibt immer wieder Phasen, in denen sie aufreißen. In denen uns Schmerzen aus der Vergangenheit einholen. Momente, in denen es scheiße wehtut, man es kaum aushält und sich wünscht, Dinge wären anders verlaufen.
Es ist okay so zu fühlen. Es ist okay nicht alles verarbeitet zu haben. Es ist okay länger zu brauchen. Rückfälle zu haben. Wichtig ist weitermachen. Immer wieder aufstehen und einen neuen Versuch starten. So lange, bis es klappt. Denn das kann ich dir versichern, es funktioniert! Nicht so schnell und einfach, wie wir es gerne hätten, doch es funktioniert! Und genau deshalb gibt es jetzt diesen Ort.
